Der bc1-Komplex, der auch Komplex III genannt wird, ist ein Schlüsseltransmembranprotein bei der Energiegewinnung sowohl bei der Photosynthese als auch bei der Atmungskette. Durch eine spezifische Abfolge von Redoxreaktion ist dieser Komplex in der Lage, einen Protonengradienten über eine Membran hinweg zu erzeugen. Dieses perfekt ineinandergreifendes Räderwerk verschiedener Einzelreaktionen, das als Q-Zyklus bezeichnet wird, stellt in ihrer Gesamtheit einen Quinon-Quinol-Kreislauf innerhalb der Membran sowie eine Protonenpumpe (H+-Pumpe) über die Membran hinweg dar. Die Kenntnis dieser Einzelreaktionen ist entscheidend für das Verständnis des gesamten Q-Zyklus und seiner Kinetik. Die Betrachtung der verschiedenen Einzelreaktionen erfordert einen tieferen Einblick in das Verhalten der Kofaktoren innerhalb des bc1 -Komplexes. Zu diesen Kofaktoren zählen das Rieskezentrum, die Hämgruppen bL, bH und c1 sowie die Quinone bzw. Quinole an den Qo- und Qi-Bindestellen. Für ein besseres Verständnis dieser Kofaktoren sind pKa-Werte und Redoxpotenziale erforderlich. Eine Methode der Wahl zur Bestimmung dieser Werte ist die Berechnung mit Hilfe der Poisson-Boltzmann-Gleichung. Hierfür sind jedoch sogenannte Gmodel-Werte für die einzelnen Kofaktoren erforderlich, die bisher nur teilweise vorlagen. Die Gmodel-Werte werden normalerweise auf Basis von Modellverbindungen bestimmt und sind ein für die Berechnung notwendiger Energieterm. Eine Modellverbindung ist dabei ein vereinfachtes Modell eines Kofaktors, um experimentelle Messungen oder theoretische Berechnungen zu vereinfachen. Durch die Etablierung verschiedener Methoden konnte das Problem der fehlenden Gmodel-Werte gelöst und die Gmodel-Werte bestimmt werden. Die entwickelten Methoden lassen sich dabei in zwei unterschiedliche Vorgehensweisen unterteilen. Sie basieren entweder auf experimentellen und theoretischen Werten oder rein auf theoretischen Berechnungen. - Ab initio Berechnungen (Kapitel 3): Bei diesem Ansatz werden die Gmodel-Werte mit Hilfe von quantenmechanischen Berechnungen und thermodynamischen Zyklen berechnet. Für diese Methode sind im Prinzip keine experimentellen Werte erforderlich. Experimentelle Werte können jedoch zur Verbesserung der theoretischen Berechnungen beitragen. - - Virtueller Modellverbindungsansatz (Kapitel 4): Bei dieser Methode wird keine klassische Modellverbindung verwendet, sondern ein ganzes Makromolekül, das einen einzelnen gesuchten Kofaktor enthält. Stark vereinfacht ausgedrückt müssen experimentelle und theoretische Werte für den gesuchten Kofaktor im Makromolekül auf einer Geraden mit der Gleichung f(x) = x liegen. Fehlt nun der entsprechende Gmodel-Wert für den Kofaktor, so kann nur die Gleichung f(x) = x + b erfüllt werden und der b-Wert stellt somit den gesuchten Gmodel-Wert dar. Wird der gefundene Gmodel-Wert für den Kofaktor verwendet, kann die Gleichung f(x) = x erfüllt werden. - - Erweitertes Mikro- und Makrozustandsmodell (Kapitel 5): Diese Methode verwendet pH-abhängige Redoxpotenzialtitrationskurven, um die gesuchten Gmodel-Werte mittels „Curve-Fitting“ zu bestimmen. Dabei wird ausgenutzt, dass in solchen Titrationskurven theoretisch alle möglichen Zustände enthalten sind, die z.B. eine Modellverbindung oder auch eine virtuelle Modellverbindung annehmen können, auch wenn diese nur sehr gering populiert sind. Zusätzlich wird das makromolekulare Mikrozustandsmodell um einen Supermakrozustand erweitert, um ein „Curve-Fitting“ zu ermöglichen. Die Gmodel-Werte ergeben sich schließlich aus dem „Curve-Fitting“. - Nach der Bestimmung aller erforderlichen Gmodel-Werte konnten der bc1-Komplex und der Q-Zyklus untersucht werden. Es ist jedoch anzumerken, dass die Semiquinonzustände noch nicht optimal durch die Gmodel-Werte repräsentiert werden. Aufgrund der experimentellen Ergebnisse und der hier durchgeführten theoretischen Betrachtungen konnte geschlussfolgert werden, dass an der Qi-Bindestelle das Glu295 an der Deprotonierung des Quinols beteiligt ist. Ebenso konnte gezeigt werden, dass an der Q o -Bindestelle Lys251, Asp252, His217 und ein Kristallwasser an der Protonierung des Quinols beteiligt sind. Darüber hinaus zeigen die berechneten Werte eine gute Übereinstimmung mit den vorhandenen experimentellen Daten. Im nächsten Schritt konnte die Kinetik des Q-Zyklus berechnet werden. Hierzu wurden auf Basis der genannten Kofaktoren und ausgewählter Aminosäuren elementare Reaktionsnetzwerke aufgebaut und analysiert. Eine Elementarreaktion ist dabei z.B. die Aufnahme eines H+-Atoms durch das Glu295 oder ein Elektronentransfer von der Hämgruppe bL zur Hämgruppe bH. Ein solches Netzwerk kann mehr als 130.000 Knoten/Zustände besitzen und ist nicht mehr händisch zu analysieren. Aus diesem Grund wurde ein spezieller Pfadsuchalgorithmus entwickelt, der in der Lage ist, einen Hauptzyklus sowie Nebenzyklen bzw. parallele Pfade zu finden. Eine genaue Beschreibung des Algorithmus findet sich im Anhang in Kapitel B. Mit Hilfe des Algorithmus konnten schließlich Netzwerke identifiziert werden, die in der Lage sind, einen Protonengradienten zu erzeugen. Die gefundenen Netzwerke wurden schließlich als Qo- und Qi-Zyklen, aber noch nicht als vollständiger Q-Zyklus identifiziert. Sowohl der Qo-Zyklus als auch der Qi-Zyklus sind in der Lage, unter Energieaufwand einen Protonengradienten zu erzeugen. Die Elementarreaktionen, die einen geschwindigkeitsbestimmenden Schritt innerhalb der gefundenen Netzwerke darstellen, konnten ebenfalls gefunden werden. Eine dieser Reaktionen ist die Reduktion des Quinons an der Qi-Bindestelle durch die Hämgruppe bH.