Ziel dieser empirischen Untersuchung war es, am Beispiel der Steigung des Graphen einer linearen Funktion zu erforschen, wie bereits Fünftklässler durch ein kurzes Training ein grundlegendes Verständnis von anspruchsvollen Repräsentationsformen erwerben können. Es wurde untersucht, ob mit Hilfe von gezielten Kontrastierungen im Trainingsmaterial das Verständnis des Graphen und seiner Steigung als einer Repräsentationsform gefördert werden kann, die spezifische Möglichkeiten der Repräsentation wie auch Einschränkungen bei der Anwendung aufweist, welche sich jeweils aus den Merkmalen der Repräsentationsform ergeben. Drei Arten der Kontrastierung wurden dazu untersucht: Erstens, eine inhaltliche Kontrastierung, bei der zwei verschiedene inhaltliche Konzepte mit Hilfe der Steigung dargestellt wurden. Zweitens, eine strukturelle Kontrastierung, bei der lediglich ein Konzept repräsentiert, jedoch im zweiten Fall die Interpretationsrichtung der Steigung durch ein Vertauschen der Achsenvariablen geändert wurde. Es wurde angenommen, dass insbesondere diese Manipulation die Art und Weise der Integration der Achsenvariablen in der Steigung transparent macht und somit Einblick in das Prinzip der Repräsentation durch die Steigung gewährt. Drittens, eine Kontrastierung, bei der die Variationen der inhaltlichen und der strukturellen Kontrastierung kombiniert wurden. 60 Fünftklässler nahmen an einem 4-stündigen Trainingsexperiment teil, in welchem sie die Steigung des Graphen inhaltlich interpretieren lernten. Dabei lernten je 15 Kinder mit einem der drei Kontraste, während weitere 15 Kinder kein Lernmaterial mit Variationen erhielten, die ihnen neue Einsichten in das Prinzip der Steigung ermöglicht hätten, sondern lediglich mit Zahlen aus einem anderen Zahlenbereich lernten (Kontrollgruppe). Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Leistungen aller Trainingskinder bei der Interpretation von Graphen und ihren Steigungen im Vergleich zur einer untrainierten Baseline-Gruppe (N = 46) vom Vor- zum Nachtest deutlich verbesserten. Des Weiteren konnte belegt werden, dass die Art der Kontrastierung einen Einfluss auf das erworbene Verständnis der Steigung hat. Während eine kombinierte Kontrastierung die Schüler eher zu überfordern scheint und nicht zu einer höheren Transferleistung im Nachtest führte, zeigten sich Vorteile einer strukturellen Kontrastierung. So gelang es den Kindern, die mit einer strukturellen Kontrastierung gearbeitet hatten, besser als Kindern der anderen drei Gruppen, Steigungen in neuen Inhaltsbereichen zu interpretieren. Dieser Vorteil scheint jedoch noch an den Gebrauch einer im Training erlernten Strategie zum Erschließen des Steigungswertes gebunden zu sein. Weiterhin neigten die Kinder der inhaltlichen Gruppe und der Kontrollgruppe zu einer oberflächlichen Interpretation von Steigungen, bei der eine höhere Steigung immer auch mit einer höheren Ausprägung der dargestellten inhaltlichen Variablen assoziiert wird (sog. slope-mapping constraint, Gattis & Holyoak, 1996). Insgesamt zeigt die Arbeit, dass bereits Fünftklässler, auch wenn sie die zugrunde liegenden mathematischen Zusammenhänge noch nicht beherrschen, in relativ kurzer Zeit ein grundlegendes Verständnis der Steigung eines Graphen erwerben können und dass der Einsatz von Kontrastierungen eine wirkungsvolle Methode des Wissenserwerbs ist, und die Art der Variation im Lernmaterial einen entscheidenden Einfluss auf diesen Wissenserwerb hat.