1994 erschütterte die Veröffentlichung von Antonio Damasios Werk Descartes‘ Error das jahrhundertalte abendländische Paradigma der Bestimmung des Menschen als animal rationale. Anhand neurowissenschaftlicher Beobachtungen konnte nachgewiesen werden, dass sowohl bei kognitiven Denkprozessen als auch bei Emotionen dieselben neuronalen Gebiete aktiviert werden. Während aufgrund dieser revolutionären Entdeckungen das konstante Zusammenspiel zwischen Emotionen und Kognition in der Neurowissenschaft nun ein etablierter Ansatz ist, scheint dasselbe nicht für die Sprachwissenschaft zu gelten. Im Rahmen der Geschichte der Sprachwissenschaft wurde das Thema der Emotionen lange entweder völlig ignoriert oder mit nebelhaften Erklärungen an den Rand geschoben. Bis auf einige Ausnahmen konzentriert sich der Großteil der gegenwärtigen Analysen entweder auf lexikalische Aspekte oder auf empirisch ausgerichtete feine pragmatische Beobachtungen. Wie aber SCHWARZ-FRIESEL (2013: 3) in der Einleitung zu ihrer Monografie verdeutlicht, besteht die Notwendigkeit der Entwicklung eines integrativen Theorieansatzes, der emotive Sprachmanifestationen nicht nur isoliert als Einzelphänomene betrachtet, sondern auch deren textuelle Verankerung untersucht. In diesem Zusammenhang scheint die Kritische Kognitionslinguistik (KKL), die – summa summarum – pragmatische und kognitive Ansätze miteinander kombiniert, eine ideale Basis für die Emotionslinguistik zu sein. Wenn Emotionen von der Kognition untrennbar sind, dann befindet sich auch die Sprache als integraler Bestandteil der Kognition in einem ständigen Zusammenspiel mit den Emotionen. Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die These, dass jeder individuelle und konkrete Sprechakt bzw. jeder individuelle Rezeptionsakt immer mit Emotionen erfüllt ist. Die konstante Präsenz von Emotionen im Sprachgebrauch verdeutlicht, dass Emotionen auf keinen Fall als ein sprachliches Randphänomen betrachtet werden sollten, sondern dass sie vielmehr in allen Produktions- und Rezeptionsprozessen eine wesentliche Rolle spielen. Es stellt sich also die Frage nach der Klassifikation der sprachlichen Mittel und der konzeptuellen Phänomene, durch die Emotionen zum Ausdruck kommen und vermittelt werden. Diese werden hier als „Emotionsmarker“ bezeichnet. Mit anderen Worten besteht also das Ziel der vorliegenden Arbeit in der Skizzierung der grundlegenden Kategorien einer pragmatischen bzw. empirisch- basierten Emotionsgrammatik. Es sei hierbei betont, dass das Wort „Grammatik“ nicht als ein abstraktes und strikt regelhaftes, sondern eher als ein dynamisches, wandelbares und auf konkreten Sprachgebrauch basiertes System verstanden wird. In Saussures Worten handelt es sich also nicht um eine Grammatik der langue, sondern um eine Grammatik der parole. Allerdings sei hierzu erklärt, dass die Definition einer pragmatischen Grammatik kein Oxymoron ist. Laut der Demauro’schen Interpretation des Saussure’schen Cours sind die Sprecherinnen und Sprecher (so wie auch die Zeit) als internes Element des Sprachsystems anzusehen. Dies bedeutet, dass nicht nur der Sprachgebrauch, sondern auch das Sprachsystem, auf den der Gebrauch zurückgeht, die Bedürfnisse der Sprecherinnen und Sprecher, bei denen der Emotionsausdruck im Vordergrund steht, erfüllen soll. In diesem Zusammenhang hat SIMONE (1995) von den „Spuren der Sprecher“ (it. traccia dell’utente) gesprochen. Hier liegt also der Fokus auf den emotiven Spuren der Kommunizierenden bzw. auf dem Einfluss des Emotionsausdrucks der Kommunizierenden auf das Sprachsystem. In dieser Arbeit wird also ein pragmatischer bzw. usage-based Ansatz verfolgt, der sich aber der (Kritischen) Kognitionslinguistik öffnet. Wie die folgenden Analysen zeigen, spiegelt sich die Konzeptualisierung von Emotionen nicht immer explizit bzw. auf erkennbaren Sprachebenen wider. Vielmehr handelt es sich oft um implizit kodierte Emotionsmanifestationen, die die Berücksichtigung der ko(n)textuellen Sinnerschließungen und der kognitiven Inferenzen, die während des Rezeptionsprozesses erfolgen, erfordern. Wie die folgenden Analysen (Kap. 4–6) zeigen, reicht für die globale Erforschung des Emotionsausdrucks die Betrachtung der rein sprachlichen Oberfläche nicht aus. Vielmehr steht die Erkennung impliziter Anspielungen im Vordergrund. Diese werden in den folgenden Kapiteln anhand der im Rahmen der KKL etablierten Text-Welt-Modell-Theorie dekodiert und erforscht. Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile: Im ersten Teil (Kap. 1–2) wird der historische und theoretische Hintergrund der Untersuchung erläutert. Im zweiten Teil (Kap. 3–6) folgt die empirisch durchgeführte qualitative und quantitative Analyse. Konkret wird im ersten Kapitel ein kurzer Überblick über die Geschichte der Erforschung der Emotionen in der Wissenschaft geliefert. Einerseits werden die Ursachen der Marginalisierung dieses Themas, die auf philosophische, soziologische und methodische Gründe zurückzuführen sind, besprochen. Andererseits wird die emotive Wende und die darauf folgende Neubewertung und Anerkennung von Emotionen thematisiert. Auf ähnliche Weise wird im zweiten Kapitel auf die Geschichte der Erforschung von Emotionen in der Sprachwissenschaft fokussiert. Wie bereits erwähnt, zeigte sich trotz der engen Beziehung zwischen Sprache und Emotionen eine jahrelange vollkommene Vernachlässigung des Themas. Das zweite Kapitel ist in drei Teile gegliedert. Erstens werden die Ursachen der Marginalisierung der Emotionen in der Sprachwissenschaft, die insbesondere auf historische und methodische Gründe zurückzuführen sind, analysiert. Zweitens liegt der Fokus des zweiten Teils des Kapitels auf der „pragmatischen Wende“ und deren Protagonistinnen und Protagonisten, die die Voraussetzungen für die Anerkennung des Themas der Emotionen in der Linguistik geschaffen haben. Zum Schluss wird im dritten Teil des Kapitels auf die Kritische Kognitionslinguistik eingegangen, in der die Theorien und die Methoden, um den Emotionsausdruck systematisch zu analysieren, entwickelt wurden. Der empirische Teil der Arbeit besteht aus vier Kapiteln. Im Kapitel 3 wird das methodische Vorgehen, auf dem diese Arbeit beruht, erörtert. Zunächst wird der Begriff „Emotion“ definiert, im Anschluss daran werden die wesentlichen Thesen aufgestellt und entsprechende Forschungsfragen daraus abgeleitet. Zum Schluss wird das Korpus der vorliegenden Studie vorgestellt. Letzteres liegt der Arbeit im Anhang bei. Es handelt sich um eine Sammlung von knapp 400 Facebook-Kommentaren deutscher und italienischer Politikerinnen und Politiker sowie Bürgerinnen und Bürger, die auf Donald Trumps Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika am 8. November 2016 reagierten. Das Korpus ermöglicht entsprechend auch die Erforschung kontrastiver Fragestellungen wie beispielsweise, ob es signifikante qualitative bzw. quantitative Unterschiede in der Polarität, Intensität, Explizität bzw. Implizität des Emotionsausdrucks innerhalb der Sprachräume oder innerhalb der politischen Orientierung der Schreibenden gibt. In den Kapiteln 4–6 erfolgt die qualitative Korpusanalyse, wobei die Daten zudem auch quantitativ ausgewertet werden. Während im vierten Kapitel der Fokus auf der Klassifikation und auf der Erforschung der expliziten Emotionsmarker liegt, stehen im fünften und sechsten Kapitel die impliziten Emotionsmarker im Vordergrund. Im vierten Kapitel erfolgt die Analyse der Emotionsmarker auf traditionellen sprachlichen Ebenen und zwar auf graphostilistischer, morphologischer, lexikalischer und syntaktischer Ebene. Für die Erforschung impliziter Emotionsmarker wurde der von SCHWARZ- FRIESEL (2010) eingeführten innovativen Kategorie der E-Implikatur besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Es handelt sich um eine oft nicht streichbare implizite emotionale Bewertung, die als Grundlage des impliziten Emotionsausdrucks gilt. Zum Schluss wird im sechsten Kapitel eine Klassifikation impliziter Emotionsmarker vorgeschlagen. Im Gegensatz zu den im Kapitel 4 aufgelisteten expliziten Emotionsmarkern handelt es sich hier nicht nur um sprachliche, sondern auch um textuelle und konzeptuelle Phänomene. Da die Erforschung des impliziten Emotionsausdrucks nicht nur die Analyse von Einzelphänomenen, sondern auch die ihrer textuellen Verankerung erfordert, ist die Perspektive nicht mehr die anhand einzelner Textsequenzen, sondern die des Gesamttextes.