Die Dissertation untersucht literarische Gestaltungsformen des Generationenverhältnisses in deutschen Familiengeschichten nach 1945. Im Hadern mit der unumstößlichen familiären Zugehörigkeit, von der sich die Jüngeren politisch und moralisch aber lossagen möchten, liegt, so die Ausgangsannahme, der Kern des Verhältnisses der Kindergeneration zu ihren Eltern, der so genannten ‚Trägergeneration‘ des Nationalsozialismus. Diese Ambivalenz zwischen Zugehörigkeit und Distanz, zwischen Kontinuität und Bruch steht im Mittelpunkt der Untersuchung. Die Arbeit zeigt, dass die deutschsprachige Literatur nach 1945 einen besonders produktiven Raum für die Kinder und Enkel der ‚Tätergeneration‘ eröffnet, verschiedene Strategien des Umgangs mit der Spannung zwischen Kontinuität und Bruch im Generationenverhältnis zu erproben und narrativ zu gestalten. Diese Strategien werden anhand exemplarisch ausgewählter deutschsprachiger Romane und Erzählungen seit den 1970er Jahren bis Anfang des 21. Jahrhunderts untersucht. Die Untersuchung nimmt dabei neben der Analyse der Werke auch die jeweiligen historischen Kontexte und die damit korrespondierenden Erinnerungskulturen in den Blick, um mögliche bedeutsame Wechselwirkungen zwischen den literarischen Texten und den soziohistorischen Bedingungen aufzuspüren. So werden bisher dominante Deutungsrahmen der so genannten „Väterliteratur“ der 1970er und 80er Jahre kritisch hinterfragt und mit Hilfe einer differenzierten Textanalyse die Heterogenität dieser Texte in Bezug auf ihre Position im Diskurs um das Generationenverhältnis in Folge des Nationalsozialismus aufgezeigt. Die in der Forschung zur Väterliteratur häufig unterstellte Homogenität der Texte dieses Genres gilt, so wird deutlich, nur für deren thematische Grundkonstellation. Die Romane und Erzählungen (von Sigfrid Gauch, Christoph Meckel, Ruth Rehmann und Brigitte Schwaiger) sind vielmehr Beispiele für ganz individuelle Strategien, der historisch bedingten Ambivalenz ästhetischen Ausdruck zu verleihen. Bezugnehmend auf die Wechselwirkung literarischer Textproduktion mit soziopolitischen Kontexten wird in der Arbeit zudem eine vergleichende Betrachtung von ost- und westdeutschen Romanen und Erzählungen vorgenommen und damit der signifikante Zusammenhang literarischer Muster mit gesellschaftspolitischen Konstellationen illustriert und deutlich gemacht, dass der vermeintlich anthropologisch bedingte Generationenkonflikt in der BRD Resultat sehr spezifischer historischer Bedingungen war. Die Analyse der vier ostdeutschen Texte (von Christa Wolf, Klaus Schlesinger und Monika Maron) zeigt, dass sich die andere gesellschaftspolitische Ausgangslage – die Tabuisierung der Täterschaft in der DDR – auf spezifische Weise in den Erzählkonstruktionen niederschlägt. Schließlich wird auch der Wandel der erinnerungskulturellen Rahmenbedingungen und neuer Lesarten der Geschichtsschreibung nach der Wende in den Blick genommen: Auch in den so genannten „Familienromanen“ Anfang des 21. Jahrhunderts (von Uwe Timm, Stephan Wackwitz und Dagmar Leupold) wie in Texten der Enkelgeneration (Tanja Dückers u.a.) zeigt sich, dass das Generationenverhältnis für die Nachkommen der Täter ein dominanter Referenzrahmen der literarischen Aufarbeitung der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert geblieben ist und die Ambivalenz zwischen Nachfolge und Loslösung, zwischen Kontinuität und Bruch, bis ins 21. Jahrhundert virulent bleibt. Während dabei der Grundkonflikt inhaltlich weitgehend gleich geblieben ist, haben sich die literarischen Strategien des Umgangs mit der Ambivalenzproblematik und die ästhetischen Ausdrucksformen in Abhängigkeit zu den jeweiligen erinnerungspolitischen und historischen Kontexten stark verändert. So finden sich neben den Versuchen, die Ambivalenz zwischen Kontinuität und Bruch zugunsten eines dieser beiden Pole aufzulösen, zunehmend auch Erzählstrategien und -positionen, die sich der Unentrinnbarkeit dieses Spannungsverhältnisses stellen. Sie bearbeiten die Ambivalenz gerade als produktiven Widerspruch, ohne diesen aufzulösen.